Huda Zoghbi übernimmt das Ruder am weltweit ersten Forschungsinstitut für Kinderneurologie

Das kürzlich eröffnete Jan and Dan Duncan Neurological Research Institute (NRI) in Houston, Texas widmet sich der wissenschaftlichen Untersuchung von neurologischen Störungen in der Kindheit. Die Leiterin Huda Zoghbi, deren Labor feststellte, dass Mutationen an MECP2 das Rett-Syndrom auslösen, stellt sich ein Forschungszentrum vor, wo Wissenschaftler mit verschiedenen Interessen in einem Umfeld des kontinuierlichen und interdisziplinären Austauschs arbeiten können. Diese ambitionierte Einrichtung befindet sich im Herzen des Texas Medical Center, ganz in der Nähe des Campus für Grundlagenforschung vom Baylor College of Medicine und dem Kinderkrankenhaus Texas. Bei Fertigstellung bietet das NRI Laboreinrichtungen für 50 bis 60 Forscher. Alle NRI-Wissenschaftler gehören zum Mitarbeiterstab des Baylor College of Medicine.

 

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Jan and Dan Duncan Neurological Research Institute

Unten finden Sie Auszüge aus einem kürzlich zwischen Dr. Zoghbi und Monica Coenraads (Geschäftsführerin des RSRT) geführten Gespräch.

MC: Dr. Zoghbi, es war wunderbar, bei der Eröffnung des NRI dabei zu sein, dem Ergebnis der Zusammenführung eines 50 Millionen-Dollar-Geschenks der Duncans, der Unterstützung der ansässigen Gemeinde und jahrelanger Arbeit. Die einmalige Bauweise symbolisiert ein spezielles Funktionsziel: die Schaffung eines erfolgreichen Zentrums für gemeinsame Forschung an den neurologischen Störungen von Kindern. Ich weiß, dass Sie durch Ihre Begleitung dieses Konzepts von der Idee bis zur eindrucksvollen Realität praktisch an jedem Schritt seiner Entwicklung beteiligt waren. Man kann Sie wirklich nur beglückwünschen. Und wo jetzt diese schöne Einrichtung ihre Türen für die Arbeit geöffnet hat, sagen Sie uns doch bitte, welche Schritte nun anstehen.

HZ: Da gibt es jetzt zunächst zwei parallel verlaufende Phasen. Die eine besteht im Auffinden von talentiertem Personal, um die fertigen Labore auf den ersten fünf Etagen zu besetzen. In Phase 2 erweitern wir die Einrichtung, die mit Stimulusgeldern gebaut wird, und 2012 können wir hoffentlich weitere Stellen besetzen.

MC: Ich weiß, dass der physikalische Aufbau des Gebäudes noch über dessen eindrucksvolles Äußeres hinausgeht. Sie hatten eine klare Vorstellung im Kopf und haben dafür ein neues Wort geprägt: Co-Labor.

HZ: Ja, die Gestaltung dient besonders dazu, die Zusammenarbeit zwischen Forschern im Gebäude zu fördern und zu verstärken. Das Gleiche gilt für die Kommunikation mit dem Personal der angegliederten Einrichtungen. Wir wollten dies in den einzelnen Laboren und im Gebäude als Ganzes umsetzen. In Zeiten, wo die meisten Leute schnell eine E-Mail schreiben, anstatt über den Flur zu gehen, um mit jemandem zu sprechen, haben wir Arbeitsbereiche gestaltet, die Gespräche fördern, sowie Sozialbereiche, die zur Bewegung und zum Austausch einladen. Wissenschaftler mit verschiedenen Fachgebieten können gleichermaßen auf geteilte Ressourcen zugreifen. Das Co-Labor ist ein sehr schöner, offener Glasturm, der Doppelhelix der DNS nachempfunden; das Treppenhaus ist sehr geräumig und hat ein angenehmes Ambiente. Die Leute kommen quasi automatisch hierher, weil sie sich zwischen den Etagen bewegen, um zum Mittagessen zu gehen, einen Cappucino zu trinken, eine Pause zu machen oder die Fitnessgeräte zu benutzen. Auf diese Weise werden Sie automatisch mit Wissenschaftskollegen zusammentreffen, die in ihren Laboren an anderen Dingen arbeiten.
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Dieses Co-Labor, dieses Zusammenführen von Leuten aus verschiedenen Disziplinen, ist immer noch ziemlich neu. Es ist eine Art Paradigmenwechsel, der ein bisschen von traditionellen Grenzen der Wissenschaft abrückt. Wenn Sie Mitarbeiter suchen, sollte die Persönlichkeit der möglichen Kandidaten meiner Ansicht nach die gleiche Rolle spielen wie intellektuelle Brillanz.

HZ: Ja, es ist wirklich wichtig, dass unsere ausgewählten Wissenschaftler großzügig und empfänglich sind. Unter ‚großzügig‘ verstehe ich eine Bereitschaft, die eigenen Ideen zu teilen und zu Projekten anderer beizutragen, wenn die eigenen Kenntnisse auf einem speziellen Gebiet nützlich sind. Empfängliche Wissenschaftler sind offen für Input zu ihrer Arbeit. Das sind wichtige Eigenschaften, die ein interaktives Forschungsumfeld erst ermöglichen. Wir träumen von einer Generation von Wissenschaftlern, die eine solche Philosophie wirklich würdigen. Wir richten ebenfalls ein Programm ein, das Wissenschaftlern den Übergang in die Unabhängigkeit erlaubt, sobald sie dazu bereit sind. Dazu entwickeln wir NRI Fellowship-Positionen, so dass exzellente junge Promovierte (zwei pro Jahr) in einem ungewohnt unterstützenden und bereichernden Umfeld arbeiten können. Wenn ihre Projekte Erfolg haben, erhalten sie die Chance, sich für die begehrten Mitarbeiterplätze vorzustellen.

MC: Diese Philosophie des Co-Labors erstreckt sich auch über die Architektur des neuen Gebäudes hinaus, etwa auf die Auswahl der Örtlichkeiten. Ich weiß, dass Ihnen der Ort entscheidend wichtig war.

HZ: Das NRI ist ein Gebäude des Kinderkrankenhauses Texas, aber ich wollte es an einem Platz, wo möglichst viele Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen Zugang zu ihm haben. Ich wollte auch, dass unsere eigenen Wissenschaftler nur ein paar Schritte von Einrichtungen entfernt sind, wo Schwerpunkt und Spezialisierung auf Forschungsproblemen liegen, die sich ziemlich von den Störungen der kindlichen neuronalen Entwicklung unterscheiden. So kann beispielsweise ein Forscher im Mitchell-Forschungsgebäude am MD Anderson (dem NRI angeschlossen) Krebs und die Epigenetik von Krebs studieren und möglicherweise eine Entdeckung machen, die für die Epigenetik im Nervensystem bedeutsam ist. Man weiß wirklich nicht, von woher die Durchbrüche kommen und entsprechend hat diese übergreifende Pflege von Arbeit und Ideen von verschiedenen Einrichtungen einen potenziell enormen Wert.

MC: Erzählen Sie uns bitte vom Potenzial dieses Ansatzes, neue Arbeiten zu beschleunigen und abzusichern.

HZ: Wenn Sie ein Verfahren sehr gut kennen, oder wenn Sie sogar verschiedene Kenntnisse innerhalb einer Disziplin haben, ist dies immer noch nicht genug für das Verständnis von etwas derart Komplexem wie der Hirnentwicklung oder der Hirnfunktion. Vielleicht kommt jemand hierher, der auf Grundlagen der Synapsenbiologie und Neurophysiologie spezialisiert ist, aber ebenso bereit, sich zu engagieren und zu überlegen, wie man den Effekt der Arbeit maximieren kann. Dann arbeitet er vielleicht mit jemandem, der ein Modell für das Rett-Syndrom oder Fragiles X studiert. Sie brauchen wirklich eine Vielfalt von Fachrichtungen, auch innerhalb der Naturwissenschaften, um komplexe Probleme angehen zu können. Selbst wenn Sie alle diese Experten zusammenbringen, ist die Herausforderung immer noch groß.

MC: Die Leser dieser Seite interessieren sich natürlich für das Rett-Syndrom. Sagen Sie uns etwas über die Art der Ressourcen, die Sie im Zusammenhang mit der Rett-Forschung sehen?

HZ: Bisher haben wir acht Mitarbeiter eingestellt, und einer der ersten ist jemand, der am Rett-Syndrom forscht, Jeff Neul. Außerdem haben wir den Mitarbeiterstab in der Physiologie verstärkt. Unsere Kollegen in den Neurowissenschaften verwenden die Zwei-Photonen-Tomographie von kortalen Nervenzellen bei Tiermodellen von Rett, und entsprechend hat das NRI die Ausstattung für solche Experimente angeschafft. (Anmerkung: Die Zwei-Photonen-Tomographie ist eine Art der Mikroskopie, die es dem Forscher erlaubt, lebendes Gewebe in der Tiefe zu betrachten.) Unsere Verhaltensforschungseinheit ist dahingehend gestaltet, dass sie die Anforderungen groß angelegter vorklinischer Studien an Rett-Mausmodellen erfüllt, so dass wir die Anzahl unserer Versuche erhöhen und unsere Verhaltensuntersuchungen ausweiten können. Einige unserer Mitarbeiter werden Wissenschaftler sein, die das Wissen mitbringen, um Rett aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Da Rett so viele Symptome umfasst, kann man sagen: Je mehr wir darüber lernen, desto mehr Wissen schaffen wir, das sich auf eine große Zahl neurologischer und neuopsychiatrischer Störungen anwenden lässt.

MC: In diesem Zusammenhang: Viele Kinder mit Störungen des Nervensystems leiden an Krampfanfällen, chronischen Problemen mit dem Magen-Darm-Trakt und orthopädischen Schwierigkeiten. Bisher hat man versucht, die Symptome zu lindern, doch oft schlagen Standardbehandlungen nicht richtig an, und die tiefer liegenden Ursachen werden häufig gar nicht angesprochen. Können sich die Mitglieder des Instituts oder neue Mitarbeiter darauf konzentrieren, die Mechanismen dieser Probleme über verschiedene Diagnosen hinweg in der Tiefe zu untersuchen?

HZ: Ja, mit Sicherheit. Ein Weg zum Informationsaustausch am NRI werden regelmäßig stattfindende Seminare sein. Einige davon konzentrieren sich dann jeweils auf ein spezielles Symptom. Wir bringen Kliniker mit Grundlagenforschern zusammen und schauen die Probleme aus beiden Blickwinkeln an. Wir laden auch Experten für Magen-Darm-Erkrankungen oder für Knochenprobleme ein. Das große Problem der unkontrollierten Epilepsie ist vielleicht das erste Thema, das wir auf diese Weise erforschen. Ein Symposium zu diesem Thema ist bereits in der Planungsphase.

MC: Das führt uns zu der Situation von Kindern, die Symptome, aber keine Diagnose haben. Es gibt Mädchen mit der klinischen Diagnose Rett, bei denen man aber keine MECP2-Mutationen gefunden hat. Ist das NRI eine Anlaufstelle für derart betroffene Familien?

HZ: Die Kosten der Sequenzierung sinken, und entsprechend ist es machbar, sich neben den Kindern auch die Eltern anzusehen. Wir starten eine Initiative zwischen unseren NRI-Wissenschaftlern und dem Genom-Center, um groß angelegte medizinische Sequenzierungen für diese Patienten vorzunehmen.
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Mark Wallace (Vorsitzender und CEO des Kinderkrankenhauses Texas), Jan Duncan, Huda Zoghbi, Cynthia und Tony Petrello

MC: Also engagiert sich das NRI an allen Fronten: Kreative Zusammenarbeitsstrategien, neue Sicht- und Herangehensweisen, eine tiefer gehende Untersuchung der Symptome, an denen Kinder mit Rett und vielen andere neurologische Störungen leiden, sowie Untersuchungen des Genoms. Sie rufen hier wirklich ein aussichtsreiches interdisziplinäres Modell für die medizinische Forschung des 21. Jahrhunderts ins Leben. Wir danken Ihnen herzlich für Ihre Tätigkeit auf dem Gebiet der Rett-Forschung in allen diesen Jahren und natürlich für dieses Gespräch. Hoffentlich können wir Sie gelegentlich zu Neuigkeiten befragen und so ein wenig an der großartigen Arbeit des Instituts teilhaben.