Weitere Tür öffnet sich: Neuroimmunologie

Weitere Tür öffnet sich: Neuroimmunologie

Zur Betrachtung von Mikrogliazellen, T-Zellen und Knochenmarktransplantationen beim Rett-Syndrom

Heute interviewen wir Jonathan Kipnis, PhD, einen Neuroimmunologen, der erforscht, wie das Immunsystem beim Rett-Syndrom mit dem Nervensystem zusammenarbeitet, und der daran experimentiert, dieses Zusammenspiel einzusetzen, um Rett-Symptome zu beeinflussen. Das Immunsystem ist komplex und facettenreich, mit entzündungsfördernden und Anti-Entzündungs-Aktivitäten und modularen Einflüssen auf eine Vielzahl von Substanzen, einschließlich neurotropher Faktoren, wie etwa BDNF, was Eltern, die die Rett-Forschung verfolgen, geläufig sein dürfte. Der RSRT unterstützt seine innovative Untersuchung von Knochenmarktransplantationen in Rett-Modellen.

 

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Der RSRT gewährte Dr. Kipnis kürzlich eine Förderung für ein Projekt mit dem Namen „Immunmodulation als neuer therapeutischer Ansatz für das Rett-Syndrom“. Das Projekt ist eindeutig klinisch ausgerichtet.

An unsere Förderer:
Dies ist Ihr Geld, das in sinnvolle Arbeit investiert wird. Der Rett Syndrome Research Trust dankt Ihnen herzlich.

MC: Bitte erzählen Sie uns ein bisschen über Ihren Hintergrund. Ich weiß, dass Sie in Israel studiert haben.

JK: Ja, ich habe meinen Bachelor of Science mit Biologie im Hauptfach an der Universität von Tel Aviv gemacht, und dann war ich am Weizmann Institute of Science. Das ist ein wunderbarer Ort, um in Israel Forschung zu betreiben. Ich habe zuerst im Labor von Moshe Oren gearbeitet, einem sehr berühmten Zellbiologen. Dann kam ich zum Forschungszentrum von Michal Schwartz –der mir über Jahre ein großartiger Mentor war– um meinen Doktor zu machen. Hier arbeitete ich an der Rolle der Immunsystemreaktionen bei Verletzungen am Zentralnervensystem. Ich blieb dort auch für postdoktorale Studien und kam schließlich in die USA. Ich bin seit 2005 an der UVA, der Universität von Virginia, und zwar am Institut für Neurowissenschaften. Ebenso bin ich Mitglied des Carter Immunology Center und verbinde so meine Leidenschaften für Immunologie und Neurowissenschaften.

MC: Als Sie sich für die Immunologie entschieden haben, waren Sie da direkt auch an Neuroimmunologie interessiert, oder entwickelte sich Ihr Interesse am Hirn und dem Zentralnervensystem später?

JK: Nein, nein—eigentlich studierte ich am Institut für Neurobiologie, und jeder um mich herum war Neurobiologe, außer meines Mentors, der studierter Immunologe und dann Neurowissenschaftler war. Er inspirierte also mein Interesse und meine Liebe zu beiden Forschungsfeldern. Ich kam in dem Jahr zu Michals Labor, als sie die T-Zellen entdeckten. Sie sind eine Art Lymphozyten, und wenn man sie in richtiger Menge und zur rechten Zeit nach einer Hirn- oder Rückenmarksverletzung injiziert, verbessert das den Verlauf und schützt die Nervenzellen vor dem Absterben.

MC: Setzen Sie sie direkt ins Rückenmark ein?

JK: Nein, das ist gar nicht nötig; Sie injizieren sie einfach, und dann finden sie ihren Weg zum Rückenmark ganz von allein.

MC: Also ungefähr so, wie wir von embryonalen Stammzellen erfahren haben, dass sie dahin gehen, wo sie im Hirn gebraucht werden, um dort zu reparieren?

JK: Genau, ja.
Das Rett-Syndrom als Modell

MC: Wie sind Sie dann zum Rett-Syndrom gekommen?

JK: Okay, das ist etwas komplizierter— und dies ist nur ein Teil der Geschichte. Um die Vorteile der T-Zellen nach einer Verletzung des Zentralnervensystems nutzbar zu machen, müssen Sie die Anzahl der T-Zellen wirklich in die Höhe treiben. Die endogene Reaktion ist nicht sehr effizient. Doch die unerwartete Entdeckung, dass die Spontanreaktion genau reguliert ist, und dass, wenn sie außer Kontrolle gerät, diese Schutzzellen zerstörerisch werden und eine Autoimmunkrankheit auslösen können, ließ uns darüber nachdenken, ob endogene T-Zellen-Reaktion, die das Hirn nach einer Verletzung kaum unterstützt, vielleicht unter physiologischen Bedingungen eine Rolle bei der Hirnfunktion spielen könnten. Also unternahmen wir ein “verrücktes” Experiment – wir nahmen Mäuse, die keine adaptive Immunität, also T-Zellen, haben.

MC: Es handelt sich dabei um genmanipulierte Mäuse ohne T-Zellen?

JK: Ja, sie dienen als Modell für “bubble kids“ (umgangssprachlicher Ausdruck für Kinder mit Lernschwäche, die knapp unter der durchschnittlichen Leistungsgrenze bei Schultests liegen, d.Ü.). Das nennt man eigentlich SKIS, schwere kombinierte Immunschwäche. Sie haben keine Lymphozyten. Wir waren sehr überrascht herauszufinden, dass diese Mäuse bei vielen Aufgaben, die Lernen und Gedächtnis mit einschließen, und auch bei der Hirnplastizität eingeschränkt waren. Noch überraschender war die Tatsache, dass wir, wenn wir ihnen eine intravenöse Injektion mit T-Zellen von wilden Mäusen verabreichten und sie nach zwei Wochen wieder überprüften, herausfanden, dass alle ihre kognitiven Funktionen perfekt in Ordnung waren! Also haben wir durch die Behandlung immungeschwächter Mäuse mit T-Zellen deren Hirnfunktion verbessert.

MC: Das ist sehr interessant.

JK: Später nahmen wir erwachsene wilde Mäuse und entnahmen deren T-Zellen. Hier sahen wir, dass ihre Hirnfunktion eingeschränkt wird. Wir wissen bisher nicht genau, was die T-Zellen im Hirn ausrichten, obwohl unsere aktuelle Arbeit annimmt, dass T-Zellen im Hirn ein lösliches Molekül mit dem Namen Interleukin 4 produzieren und die Stufen des BDNF im Hirn über dieses Molekül regeln. Außerdem regulieren T-Zellen Synaptogenese, Plastizität und Neurogenese, welche sich im Zusammenhang mit dem Rett-Syndrom als eingeschränkt herausgestellt haben.
Ich habe mir die “immunologische” Literatur im Zusammenhang mit Rett angesehen und bin dabei auf eine wunderbare Arbeit einer Gruppe an der UC Davis gestoßen—-

MC: Von Janine LaSalle?

JK: Genau. Sie zeigte, dass es bei Rett-Patienten eine Drehung der X-Aktivierung bei den Lymphozyten gibt. Das heißt, sie bevorzugen das Gen mit dem normalen MECP2. Sie scheinen es für das Überleben und zum Funktionieren zu brauchen.
MC: Glauben Sie, dass diese Drehung über die Zeit passiert?

JK: Vielleicht. Es wäre interessant, die Unterschiede zwischen sehr jungen Patienten und denen, die älter sind, zu sehen. Meine Vorhersage wäre, dass die Lymphozytendrehung vielleicht mit dem Alter stärker wird.

MC: Darüber habe ich auch nachgedacht.

JK: Offensichtlich gibt es viele wichtige Wege, wie MECP2 sich auf die Nervenzellen auswirkt, aber wenn die T-Zellen schlecht funktionieren, kann das ein Teil des Bildes sein. Also haben wir uns die männlichen Mausmodelle für Rett angesehen und herausgefunden, dass deren T-Zellen tatsächlich bedeutend eingeschränkt sind; sie reagieren nicht gut auf das, was wir den antigenen Stimulus nennen. Das war der Beginn unseres Interesses, das sich im Laufe der Zeit mehr und mehr verdichtet hat.

MC: Sie suchten also nach einem Krankheitsmodell, das Ihnen mit Ihrer Annahme helfen konnte, und das Rett-Syndrom hatte alle Eigenschaften, die Sie interessierten?

JK: Genau.

MC: Sie sind sich sicher darüber im Klaren, dass eine Störung der MECP2-Duplikation existiert. Sie kommt bei Jungen vor, und diese Jungen sterben oft an Infektion. Beim Rett-Syndrom sehen wir subtilere Probleme mit Infektion. Es scheint, dass zu viel MECP2 Immunprobleme hervorruft. Haben Sie dazu irgendwelche Ideen?

JK: Wir haben im Labor jetzt nicht direkt das Mausmodell für MECP2-Duplikation, und so haben wir damit noch nicht gearbeitet. Aber was wir wissen, ist, dass MECP2 als Protein sehr wichtig für einige Untertypen der T-Zellen ist, die Immunreaktionen regeln. Diese funktionieren beim Rett-Syndrom vielleicht schlecht in eine Richtung, und beim MECP2-Duplikation-Syndrom haben wir eine Überfunktion. An diesem Punkt ist das wirklich reine Spekulation, aber ich denke, wir können da vielleicht etwas finden.

MC: Wie Sie wissen, gibt es in der Literatur nur Information in Form von Anekdoten, die über die letzten zehn Jahre in Familien gesammelt wurde, und die das Vorkommen sehr großer Mengen an weißen Blutkörperchen einschließen; Stressoren, die vermutlich einen Rückgang beschleunigen; veränderte Wirkung bei Kindern, denen es auf gewisse Weise während eines oder nach einem Fieber besser geht. Ich weiß von einigen Rett-Kindern, die IVIG bekommen, und obwohl das gegen wiederkehrende Infektionen ist, scheint es diesen Kindern auch neurologisch besser zu gehen, zum Beispiel im Bezug auf Bewegungsstörungen.

JK: Das ist sehr interessant. Es gibt so viel, was wir wegen der Variationen bei der X-Aktivierung beim Menschen nicht wissen. Das ist schwer zu kontrollieren, und wie Sie sagen, wurde es bisher auch nicht ordentlich erforscht.

MC: In letzter Zeit habe ich einiges über Neuroimmunverknüpfungen gehört. Dies scheint ein Forschungsfeld zu sein, wo sich etwas tut. Können Sie uns etwas über die Geschichte dieses Felds erzählen?

JK: Das ganze Gebiet der Neuroimmunologie wurde als Unterfeld der Pathologie erforscht, bevor die bahnbrechende Entdeckung gemacht wurde, dass autoreaktive T-Zellen von Nutzen sein könnten. Jetzt untersuchen verschiedene Teams die Schutzfunktion der T-Zellen bei verschiedenen akuten und chronischen neurodegenerativen Leiden, wie etwa Verletzung des Zentralnervensystems und Schlaganfall, Alzheimer, Parkinson, ALS und vielen anderen. Sie alle haben die Tatsache gemeinsam, dass ein Entfernen oder die Unterdrückung von T-Zellen eine Verschlimmerung des Krankheitsverlaufs nach sich zieht. Bei unserer aktuellen Arbeit, die sich auf die Rolle der T-Zellen im gesunden Hirn bezieht, sind wir zu der Erkenntnis gelangt, dass eine Einschränkung der Abwehrreaktion eine Einschränkung der Hirntätigkeit bedeutet und auf diese Weise kognitive und andere Fähigkeiten des Hirns beeinflusst werden. Was wir früher also als Pathologie verstanden haben, sieht man heute als Physiologie.

MC: Was denken Sie, wie viele Labors weltweit an neuroimmunologischen Themen arbeiten?

JK: Oh, da gibt es einige Dutzend. Viele arbeiten an den schädlichen Aspekten der Abwehrfunktion, wie bei MS–Multiple Sklerose– und einige studieren die positiveren Erhaltungsmerkmale des Immunsystems. Es gibt vier (oder sogar mehr) Fachmagazine auf dem Gebiet und einige wissenschaftliche Organisationen wie die ISNI (Internationale Gesellschaft für Neuroimmunologie) und die PNIRS (Psychoneuroimmunologie-Forschungsgesellschaft) und weitere. Deren Konferenzen ziehen Hunderte (vielleicht über Tausend bei einer ISNI-Konferenz) Teilnehmer an.
Knochenmarktransplantation und Rett-Syndrom

MC: Es gab kürzlich eine Veröffentlichung des Nobelpreisträgers Mario Capecchi, eine faszinierende Arbeit, die auch die Aufmerksamkeit von ein paar Rett-betroffenen Eltern weckte. Er konnte Symptome von OCD (obsessive-compulsive disorder; Angst-und Zwangsstörungen, d.Ü) durch Knochenmarkstransplantationen umkehren. Können Sie uns darüber etwas sagen?

JK: Gerne. Das ist sehr interessant und hat uns überhaupt nicht überrascht. Wie Sie wissen haben wir Haupttypen von Zellen im Hirn: die Neuronen, die Astrozyten, Oligodendrozyten und Mikroglia. Mikroglia sind sehr aktive im Hirn, aber sie werden nicht im Hirn geschaffen; sie kommen von blutbildenden Stammzellen im Blut oder Knochenmark. Wenn Sie Mäusen also neues Knochenmark geben, werden die Mikroglia im Hirn von neuen Mikroglia ersetzt.
Wie Sie wissen, haben wir etwas Ähnliches getan: Wir haben Knochenmark von Rett-Mäusen genommen und wilden Mäusen verabreicht, und unsere ersten Ergebnisse zeigen das Auftreten von Rett-Symptomen. Wir sind noch dabei, sie zu charakterisieren, aber wir haben Hinweise auf eine eingeschränkte Plastizität, und wir zählen ebenso motorische Fehlfunktionen.

MC: Es wird offensichtlich ebenso interessant, wenn Sie dies auf umgekehrtem Weg tun, wenn Sie also Knochenmark von wilden Mäusen an Rett-Mäuse verabreichen.

JK: Ja, wir haben da hoffentlich bald etwas zu berichten.

MC: Beginnen sie dies bei Neugeborenen? Würde es auch bei erwachsenen Mäusen funktionieren?

JK: Wir werden das Immunsystem auf vier verschiedene Arten beeinflussen. Ich vermute, dass wir etwaige gute Auswirkungen bei Neugeborenen auch bei Erwachsenen sehen werden.

MC: Was können Sie sich als bestmögliches Ergebnis Ihrer Arbeit vorstellen?

JK: Rett ist eine komplexe Störung. Ich nehme nicht an, dass sie über die Immunbestandteile vollständig heilbar ist. Aber wir wissen, dass diese Bestandteile sich auf neurotrophe Faktoren auswirken und wie Neuronen funktionieren können. Also hoffen wir, dass wir entscheidende Verbesserungen bei einigen Aspekten des Leidens sehen werden. Das Rett-Syndrom hat wirklich meine Aufmerksamkeit geweckt, und wir arbeiten so schnell wir können, um Erfolge zu erreichen.

MC: Vielen Dank und viel Glück bei den Experimenten. Wir freuen uns darauf, unsere Leser über diesen neuen Ansatz auf dem Laufenden zu halten, wenn Ihre Arbeit voranschreitet.